Emmauskirche in Geseke Predigt von Pater Abraham am 5. Februar 2023
Predigt 5-2-2023 in Geseke, ev. Gemeinde
Zuerst veränderst Du Deine Bauten, dann verändern Deine Bauten Dich.
Dieses Zitat lässt sich leider keinem konkreten Autor zuordnen, aber damit wird der Satz nicht uninteressanter.
Sie – liebe evangelische Gemeinde in Geseke – haben sich auf diesen Schritt eingelassen.
Wie beim menschlichen Atem gibt es auch in der Geschichte der Kirchen Phasen des Einatmens und sich Ausdehnens und dann wieder Phasen des Ausatmens, des Loslassens und des sich Zusammenziehens. Wenn wir die Situation des Glaubens in unseren Tagen beobachten, dann erleben wir gerade eine Zeit die dem Ausatmen gleicht. Die Institutionen der Kirche schwinden, Menschen gehen andere Wege ihrer je eigenen Hoffnungs- und Sinnsuche. Das zu beobachten, macht erst einmal Angst und manchmal wird man den Eindruck nicht los, dass die Institutionen versuchen, einfach erst einmal den Atem der Zeit anzuhalten, um die Richtung des Ausatmens zu vermeiden. Vielleicht kommt dieses diffuse Gefühl des Erstickens in kirchlichen Räumen auch daher, dass wir den normalen Prozess dynamischen Ausatmens vermeiden und mit angehaltener Luft dastehen.
Atmen ist einer der Grundvollzüge des Lebens und Menschen, die nicht mehr atmen können, spüren auch ihr Leben nicht mehr. Das gilt im spirituellen Leben mehr denn je. Es geht darum, den eigenen Atem zu spüren und die Bewegung des Ein- und Ausatmens bewusst wahrzunehmen, dann auch sie zu steuern. Das kann man durchaus gemeinsam üben, denn über den Atem lassen sich Menschen zusammenbringen.
Nicht umsonst hat das Kirchenlied besonders in den evangelischen Gemeinden eine so wichtige Bedeutung. Beim Singen müssen wir gezielt in den Pausen einatmen und im Ausatmen erklingt die Melodie. Tun wir das gemeinsam, dann atmen wir miteinander und können uns als Gemeinschaft erleben. Unterschiede, die trennen, werden für einen Moment aufgehoben und wir fühlen uns eins mit den Menschen um uns herum. Kirchen sind einer der letzten Orte – interessanterweise neben den Fußballstadien – in denen Menschen zusammenkommen und gemeinsam singen. Ansonsten sind die Gesänge unserer Seelen dabei, zu verstummen und langsam aber sicher werden sie vergessen.
Sie haben sich hier in Geseke auf einen dynamischen Prozess des Ausatmens nicht nur eingelassen, sondern daraus Schlüsse für den Bestand Ihrer Bauten geschlossen. Einatmen scheint dabei leichter, weil man sich dann ja im Gestus des Habens, des Wachstums findet. Das sind Zusammenhänge, die unsere Gesellschaft zutiefst prägen. Es ist das „Mehrhabenmüssen“, das zwangsläufige Wirtschaftswachstum, die Globalisierung. Wir können wahrnehmen, dass unsere Seelen mehr vom Materialismus und Kapitalismus geprägt sind, als wir wahrhaben wollen. Auch die Institutionen unserer Kirchen sind in diesen Sog geraten.
Sie haben sich hier in Geseke zum Ausatmen entschlossen. Das braucht Mut, denn Loslassen hat immer etwas mit Angst und Verlustgefühlen zu tun. Abschied ist niemals leicht und er tut immer weh, wenn wir die Umstände liebgewonnen haben: Menschen sind ja auch Gewohnheitstiere. Gelungener Abschied lässt sich aber, wenn der Trauerprozess integriert ist, auf Veränderung ein. Bedenken wir: Trauer ist der Preis der Liebe. Neues kann aber nur entstehen und wachsen, wenn wir dafür Raum schaffen und den Aufbruch wagen.
Hier beginnt aus meiner Einsicht Religion, hier haben wir Antworten, die Menschen interessieren. Hier haben spirituelle Menschen Reaktionsweisen und Weisheit gesammelt, die weiterführen – die durch das Tal des Abschieds und der Trennung hindurchweisen. An den Schnitt-Stellen liegt das Kerngeschäft von Kirche. Es ist das angesichts der Leistungsgesellschaft so paradox klingende Beispiel vom Weizenkorn, das in die Erde fällt, das uns Hinweise geben kann. Man sieht optisch zuerst den Tod, den Untergang, den Abschied, das Sterben. Erst im genaueren Hinsehen und nachdem eine ganze Zeit vergangen ist, erkennen wir das neu hervorbrechende Leben. Das Weizenkorn stirbt nicht, es verändert sich aber so sehr, dass wir meinen, es nicht mehr wieder zu erkennen. Die bewährte und bekannte Form zerbricht und das neue entsteht, weil die Information, das Lebensprinzip sich neu formatiert – in eine materielle Form bringt.
Das Geheimnis dieses Prozesses liegt nun darin, dass das Zerbrechen von Innen heraus geschehen muss. Das können wir am besten an einem weiteren Lebensprozess der Natur beobachten. Wird ein Ei – also eine dieser geheimnisvollen Keimzellen des Lebens - von außen her zerbrochen, dann fällt es dem Tod, der sinnlosen Zerstörung und dem Untergang anheim. Wird das Ei aber von innen her zerbrochen, schlüpft das Küken und das neue Leben tritt hervor. Wer das erkennt, der findet Gott auch in unserer Welt. Abschied und den immer damit verbundenen Verlust können wir nur bewältigen, wenn wir die permanente Außenperspektive verlassen und versuchen, das Ganze – wie auch immer – von innen zu betrachten. In diesem Wechsel beginnen Glaube, Hoffnung und Liebe. In diesem Wechsel ist Gott erfahrbar und in diesem Paradox hat die christliche Botschaft – mag so noch so verlacht und verachtet werden ihren tiefsten Grund.
Die Geschichten des Rabbi Joshua, die er vor 2000 Jahren erzählt hat, bezeugen genau das. Sie werden in unseren Kirchen nach wie vor verkündet und sie werden von den Menschen nach wie vor verstanden. Manche unserer Theologie ist schnell Geschichte geworden, seine Geschichten stehen wie Felsblöcke – nach wie vor. Das gründet vielleicht darin, dass er eben nicht nur geredet und gelehrt hat, sondern dass seine Worte durch Taten gedeckt sind. Er erklärt uns das Leben und die Welt, den Menschen und alles, was uns umgibt von innen heraus, weil er aus dem Gottherzen geboren ist – wie übrigens wir alle. Er kannte seinen Ursprung wie kein anderer so sehr, dass er wie Gott war. Wenn wir zusammenkommen und das Brot aus den Weizenkörnern brechen wird das alles so wirklich, dass es uns ermutigt, die Veränderungen anzugehen, die Unterschiede zu überwinden und das Leben zu wagen.
Ich wurde hier ja eingeladen, um Ihnen die neuen Prinzipalstücke zu erklären. Bisher habe ich dazu direkt wenig gesagt. Ich weiß. Aber ist das denn nötig? Alles, was sie wissen müssen können sie sehen: Da ist die braune Erde: Verrostetes Eisen. Und inmitten aller Vergänglichkeit scheint etwas Goldenes auf. Es scheint von innen zu kommen. Auf einem dieser güldenen Durchbrüche liegt die Bibel, die Ur-Kunde unseres Glaubens.
An der Wand ein sich über alles erhebendes Bild des Auferstandenen im strahlenden Glanz. Der Christus scheint übrigens nicht nach oben zu schauen, sondern er schaut uns alle mit dem Herzensblick an. Er erinnert uns an unsere Herkunft und an unsere Zukunft. Die Welt verändert sich permanent und das ist derzeit sehr, sehr anstrengend. Deshalb müssen wir die Veränderung gestalten und es wagen neue Perspektiven einzunehmen. Wenn wir das gemeinsam angehen, bedeutet das Trost im Verlust und Freude am neuen.
In der Neuordnung Ihrer Bauten haben Sie nicht nur einen organisatorischen Prozess bewältigt, sondern – und das ist der Grund meiner Worte – der Welt eine Predigt gehalten. Sie hat die Stichworte: Weniger ist mehr. Gemeinsame neue Wege helfen, die Zukunft zu gestalten. Konzentration – zur Mitte kommen – innerlich werden – Loslassen – Abschiednehmen nicht um der Zerstörung willen, sondern um dem göttlichen Leben mitten in unserer Welt neuen Raum zu schenken.
Amen. Gehen Sie weiter!