KreuzAnhänger
Menschen, die sonst in ihrem Leben eher selten religiöse Formen pflegen, tragen Kreuze. Und es sind nicht etwa die geometrischen gleichschenkligen Kreuze, die in der Geschichte als griechische bekannt sind und eine sehr offene Deutung zulassen. Es finden sich meist sogenannte lateinische Kreuz, die mit dem längeren Balken nach unten zur Erde.
Das wäre dann eine erste Bedeutungsebene von „KreuzAnhänger“. Das sind dann Menschen, die sich ein Kreuz an einer Kette um den Hals hängen. Auch in der sogenannten nachchristentümlichen Zeit scheinen also Fragmente von Religion losgelöst aus dem ursprünglichen Kontext weiter so zu wirken, dass Menschen solchen Schmuck kaufen. Es gibt einen Markt für Kreuze! - eine Feststellung, die wir nicht so schnell außer Acht lassen sollten, wenn wir als Kirche das Fehlen von Religion bei den Menschen beklagen.
Natürlich sehen wir in den Auslagen der Kaufhäuser auch die Zeichen der anderen Religionen: Man kann da chinesische Glücksbuchstaben erstehen oder ägyptische Hieroglyphen, japanische Symbole und nordische Runen liegen friedlich in den Auslagen nebeneinander. Alle diese Zeichen teilen mit unserem christlichen Kreuz dasselbe Schicksal: Sie sind dem ursprünglichen Deutezusammenhang entnommen und taumeln als Symbolfragmente durch das Leben der Menschen. Aber: Wie das Kreuz werden sie getragen ….. Sind das nur Schmuckstücke? Oder verbirgt sich da ein tieferer Sinn?
Menschen scheinen solche Amulette zu tragen, weil man diesen Gegenständen Kräfte zuschreibt, die Glück bringen oder vor Schaden schützen sollen. Sie werden oft als Schmuck am Körper getragen und sollen den Träger passiv schützen oder stärken. Schon in der Vorzeit hängten sich Menschen Zähne oder Krallen ihrer erlegten Beute um, die dem Träger die Kraft des Tieres geben sollte. In der Steinzeit nutzen unsere Vorfahren besondere Steine wie Bernstein oder auch Muscheln und Perlen um einen wirksamen Schutz um sich aufzubauen.
Menschen unserer Zeit – so möchte ich folgern – haben ebenso dieses Bedürfnis nach Schutz und Hilfe. Vielleicht würden sie es nicht religiös formulieren, aber im tiefsten Inneren misstrauen sie vielleicht dem allzu Anschaulichen und helfen sich mit einem Rest Religion über diese Sehnsucht nach Geborgenheit hinweg. Das passt in unsere Zeit, in der Religion in ihren sichtbaren und geprägten Formen abschmilzt. Das als Schwinden der sichtbaren Form scheint aber nicht zwangsläufig das Fehlen einer religiösen Suche zu meinen. Vielmehr leben wir in einer Zeit des Wandels, die man vielleicht „kryptisch religiös“ nennen könnte. So wie die Krypta einer Kathedrale ein in der Tiefe verborgener Raum ist, den man erst suchen muss, dessen Betreten einen Abstieg meint und der im Allgemeinen in Dunkelheit getaucht ist, so könnte man die Religion unserer Tage als etwas verstehen, das im tiefen Inneren der Menschen verborgen scheint. Um diese Sehnsucht zu entdecken, könnten die Kirchen beginnen in die Tiefe der eigenen Seele zu schauen und von dort her das Suchen der Mensch neu zu verstehen. Nicht immer das Helle und Eindeutige, das Offensichtliche der Religion führt zum Menschen, sondern die Suche nach dem Verlorenen ist ein Auftrag Jesu an die Kirche. Hier meinte man langläufig den Sünder als jemanden, der mit den Regeln der Gemeinschaft nicht in eins sein konnte. Heute aber könnte das auch bedeuten, die Suche nach der verlorenen Herzenssehnsucht des Menschen, das Ausschauen nach Abgründen und Dunkelheiten, nach verborgener Armut im Geiste.
Was bedeutet nun diese Entwicklung für die andere Sorte von „KreuzAnhängern“? Hier sind die Menschen gemeint, die im Kreuz Jesu Christi Heil und Rettung sehen. Sie hängen dem Kreuz an und der am Kreuz Aufgehängte ist das Zeichen schlechthin dafür, dass Gott der Allmächtige dem Menschen anhänglich zugetan ist. Generationen von Christen haben im Anblick des gekreuzigten Gottessohnes ihr eigenes Leben gedeutet und bewältigt. Leben in aller Vergänglichkeit kann in Christus als Heilgeschichte gedeutet, verstanden und bewältigt werden, so die Erfahrung über Jahrhunderte.
Muss es nun eine Klärung oder eine Abgrenzung zwischen den beiden „KreuzAnhängern“ geben? Ich meine deutlich, dass das nicht sein kann. Die Grenzen bleiben fließend, wie das Wasser, das Leben erst ermöglicht. Wer hängt nicht an dem kleinen Kreuz, dass in einer besonders schweren Situation begleitet hat? Wer möchte nicht gerne das Kreuz der Urgroßmutter tragen, das diese immer als Zeichen ihres Glaubens trug?
Glaube kann nicht abstrakt sein und spielt sich auch nicht nur im Denken oder Fühlen ab. Lebendiger Glaube will einen Ausdruck und eine Erinnerung zugleich. Auch die, die dem Kreuz anhängen und daher einen kleinen Anhänger dieses Zeichen bei sich tragen, legen diesen nicht immer bewusst um, sondern er gehört zum Leben dazu, wie selbstverständlich. Und wenn alles Denken, Reden und Suchen in Dunkelheit verstummt, dann kann das stille beharrliche Umlegen des Kreuzanhängers vielleicht einen winzigen Funken Licht schenken und uns erinnern, dass es einen gibt, der mit uns fühlt, der unsere Situation sieht und unerkannt auch die schweren Wege mit uns geht. Im Nachhinein sagen wir dann vielleicht: Brannte uns nicht das Herz, da wo der „Kreuzanhänger“ uns das Leben und den Sinn der Schrift eröffnete?
p.abraham osb