Prinzipalstücke der evangelischen St. Cyriakuskirche in Frankfurt Rödelheim

Die vom Glasatelier Lönne und Neumann entworfenen Prinzipalstücke der evangelischen St. Cyriakuskirche in Frankfurt Rödelheim wurden in Schmiede und Tischlerei der Abtei Königsmünster gefertigt. Sie folgen einem einfachen und doch ausdrucksstarken Formmodul:

Alle Prinzipalien sind zweiteilig konzipiert und können ineinander verschachtelt, aber auch als Einzelteile wahrgenommen werden. Horizontale und vertikale Linien werden den Elementen zugeordnet. Das Hauptelement zeigt Vertikale, die eingeschobenen Elemente Horizontale.

 Als Materialien wurde Edelstahl geschliffen und helle Eiche gewachst zusammengestellt. Auch hier zeigen die Details der Verbindungen, dass die Materialien nicht einfach aufeinander gesetzt sind, sondern in einem handwerklich sehr aufwändigen Prozess miteinander verschränkt ausgeführt wurden.

 Auch das Altarkreuz folgt diesem Modul. Hier wurde ein Teil des Kreuzes diagonal aus dem anderen ausgefaltet, wie es die matten und die polierten Flächen verdeutlichen.

 Auf den ersten Blick eine klare Formulierung, die durch differenzierte Gliederung der Konstruktionen ein harmonisches Ganzes ergibt.

 Auf klassische Symbole oder Ornamente wurde verzichtet. Aber ist nicht das Modul als solches Zeichen genug?

 Als Christen des 21. Jahrhunderts ringen wir mit der Mehrdeutigkeit der Welt. Die ursprünglich besonders für die Glaubenden klaren Zusammenhänge haben sich so weit differenziert, dass man mitunter die klare Linie nicht mehr zu erkennen vermag. Kirchen sind dann Rückzugsorte, in  denen man in sich gehen kann. Hier bleibt die gemessene Zeit an der Ewigkeit stehen und es öffnen sich Seelenräume. Eine reduzierte Gestaltung unterstützt, die alltägliche Vielfalt zu lassen und der Seele einen optisch beruhigten Ort anzubieten.

 Dabei ist „Leere“ nicht als Defizit zu verstehen, sondern als sich eröffnender Raum. Die einfachen Strukturen der Prinzipalstücke bilden das ab: Man erkennt auf den ersten Blick nicht gerade, welche Linie zu den beiden Teilen gehört. Und doch ordnen sie sich – im ineinander geschobenen Zustand - zu einem harmonischen Ganzen. Man muss das nicht auf den ersten Blick verstehen, sondern wird eingeladen, in eine Betrachtung zu gehen. Wenn der Altar beispielsweise in der größeren Version „auseinandergezogen“ ist, ergibt sich ein ganz anderes Bild.

 Wäre das auch eine Idee, Leben zu bewältigen, indem wir uns die Zeit und den Raum nehmen, die verschachtelten Phänomene auseinanderzuziehen und im Abstand tiefer zu erfassen? Die spirituelle Tradition aller Religionen kennt dieses Betrachten, Innehalten und darin das Eintreten in die Dimension der Seelenzeit. Diese hat nur mehr einfache Linien, erschaut darin die Strukturmerkmale und kann sich – so gestärkt – mit Neugier und Freude an der Schöpfung dem Alltag öffnen.

 Dabei kann die Natur ein Bild schenken: In jeder Raupe ist der ganze Schmetterling bereits angelegt. Die frühen Christen entdeckten in der Metamorphose – oder wie beim Kreuz der Cyriakuskirche in der Ausfaltung – ein Abbild der Auferstehung. Sie ist ja nicht in unserem Sinne etwas „anderes“, sondern Sein in vollkommener Fülle, die jetzt verborgen schon dräut.

 In unserer reizüberfluteten Umwelt ist das Prinzip der Reduktion, der Stille, des Einkehrens – oder wie bei den Prinzipalstücken des „Sich-Zusammenschachtelns“ ein geistlicher Moment der Lebensbewältigung. Weniger ist mehr! – so die Kurzfassung eines alten Weisheitsspruches aus der mönchischen Tradition.

 Dabei ist das „weniger“ nicht etwa ein ärmliches Abschneiden, sondern Versuch, so etwas wie Essenz zu erfassen und sich dem Grund des Daseins zu nähern – aus christlichem Verständnis ein einheitlicher und darin erfüllter Grund, den wir Gott nennen.

 Dass sich die Prinzipalien auseinander- und wieder zusammenbewegen lassen, bildet das Grundmuster des Lebens ab: Beim Atmen weiten und engen wir den Körper, damit das Leben fließen kann. Nichts anderes geschieht beim Herzschlag. Der Muskel weitet sich und schließt sich, um den Lebenssaft in Bewegung zu halten. Auch die Gnade Gottes durchströmt die Welt wie ein großer Herz-Atem. Manchmal spüren wir mehr, wie sich alles zusammenzieht – vielleicht wäre das auch eine Deutung für so manch dunkle Stunde – und dann wieder erfahren wir, wie die Welt, das Leben und die Seele sich strecken und weiten.

 

Auch bei den liturgischen Farben bildet sich dieses Muster ab. Die gefassten Würfel werden in der Richtung gedreht und es findet sich die jeweils gesuchte Farbe für den liturgischen Ausdruck. Dabei ist die Konstruktion so entworfen, dass immer eine Farbe deutlich ist – den Ton angibt – aber alle anderen Farben an den Rändern der Würfel im Raum sind. Alles ist da – wir müssen nur genau hinschauen und auf die Ränder achten. Gerade in der „Unschärferelation“ der Ränder erkennen wir vom Dasein manchmal mehr und tiefer, als in den geschärften Zentralperspektiven.

 Das alles sind Details, die vielleicht nicht jeder und jedem sofort auffallen, die aber diskret auf den Raum wirken und den Suchenden ein Gefühl von Resonanz - auf Dauer vielleicht sogar von Heimat -  geben.

p. abraham osb